Gerade im Hinblick auf Depressionen möchte ich Ihnen eine wissenschaftliche Untersuchung vorstellen, die mich besonders beindruckt hat: Es handelt sich um eine Studie aus dem Jahre 1991 von Prof. Pöldinger und Kollegen. Prof. Pöldinger hat diese Arbeit in seiner Zeit als Chefarzt der Psychiatrischen Universitäts-Kliniken Basel verfasst. Er hat untersucht, inwieweit die Therapie mit bestimmten Aminosäuren , also bestimmte natürliche Körper-Bausteine – vergleichbar ist mit einer Therapie mit einem Anti-Depressivum.

Grundlage dieser Arbeiten war die Beobachtung, daß der bei Depressionen sehr oft verminderte Botenstoff (sog. „Neurotransmitter“) Serotonin aus bestimmten Aminosäure-Vorstufen vom Körper aufgebaut wird. Pöldinger ging von der Überlegung aus, dass ein größeres Angebot der Serotonin-Bausteine zu einer verstärkten Bildung des Botenstoffes durch den Körper selbst führen würde. Letztlich hätte dies ein verstärktes Angebot an Serotonin zur Folge und dies könnte die durch Serotonin-Mangel ausgelöste depressive Symptomatik bessern.

Serotonin wird im Körper aus der Aminosäure Tryptophan, über 5-Hydroxy-Tryptophan synthetisiert. Dieser Baustein kann dem Körper mit der Nahrung zugeführt werden und er gelangt über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn.

In der folgenden Abildung ist ein zentrales Ergebnis der Arbeit von Pöldinger und Kollegen gezeigt:

Nach Pöldinger et al. Psychopathology (1991) 24: 53-81)

Nach Pöldinger et al. Psychopathology (1991) 24: 53-81)

Die Abildung aus der Original-Arbeit von Pöldinger zeigt den Verlauf der Erkrankung in zwei Patienten-Gruppen mit Depressionen, eine Gruppe die mit der Aminosäure 5-Hydroxy-Tryptophan (5-HTP) behandelt wurde (geschlossene Balken) und eine Guppe, die mit dem Medikament Fluvoxamine behandelt wurde, einem damals ganz neuen, als besonders wirksam angesehenen Anti-Depressivums. Dieses Medikament gehört zur Gruppe der Selektiven Serotonin Reuptake Inhibitoren (SSRI). Diese verstärken die Wirkung des Neurotransmitters Serotonin, ohne jedoch den grundsätzlichen Mangel zu beheben.

Bei den behandelten Patienten wurde die Schwere der Depression anhand des sog. „Hamilton Score“  über 6 Wochen gemessen. Der Hamilton-Score erfasst den Schweregrad der Depression über die Messung verschiedene Symptome.

Der Schweregrad der Depression ging in beiden Gruppen im Zeitverlauf zurück.

Beeindruckenderweise zeigte sich, dass die Therapie mit der Aminosäure 5-Hydroxy-Tryptophan ähnlich wirksam war wie die Therapie mit dem Anti-Depressivum Fluvoxamine.

Sehr erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang natürlich, dass die Nebenwirkungen bei der Therapie mit der Aminosäure viel seltener und deutlich geringer sind als bei der Therapie mit dem dem Anti-Depressivum.

Die Aminosäure-Therapie („Amino Acid Therapy“; AAT) von Depressionen wurde in den letzten Jahren immer wieder auf den Prüfstein gestellt. So wurden im Jahr 2002 die damals vorliegenden klinischen Studien (über 100! an der Zahl) zum Thema Aminosäure-Therapie bei Depressionen kritisch hinterfragt (Shaw et al., s.u.).

Auch in dieser kritischen Analyse wurde festgestellt, dass „The results of this meta-analysis suggest that 5-HTP and tryptophane may have a positive effect in depression.“. Übersetzung durch den Verfasser: „Die Ergebnisse dieser Meta-Analyse deuten darauf hin, dass 5-HTP und Tryptophan einen positiven Effekt bei Depressionen haben können“. Die Autoren weisen jedoch auch darauf hin, dass noch weitere Studien notwendig sind, um diesen Effekt endgültig nachzuweisen.

Angeregt durch diese und viele weitere Arbeiten habe ich mich in den Folgejahren intensiv mit den Einzelheiten der Aminosäure-Therape bei Neurostress beschäftigt.

Sollten Sie weitere Fragen zu diesem Thema haben, können Sie mir auch gerne ein e-mail schreiben (praxis@dr-bieger.de) oder sich mit meiner Praxis in Verbindung setzen unter Tel: 089 543217-00

Zitate:

Pöldinger W., Calanchin B., and  Schwarz, W.
“A functional-dimensional approach to depression: serotonin deficiency as a taget syndrome in a comparison of 5-hydroxytryptohopan and Fluvoxamine“
Pyschopathology 24: 53-81 (1991)

Shaw et al.
Shaw K., Turner J., and Del Mar C.
“Are tryptophan and 5-hydroxytryptophan effective treatments for dpression? A meta-analysis”
Australian and New Zealand Journal of Psychiatry 36: 488-491 (2002)